Problemhaltige Aufgaben*
Häufig stoßen Kursleitende bei der Vorbereitung ihres Kurses auf Material, das für ihren Kurs als Lerninhalt verwendet werden könnte. Dabei kann es sich um Material aus einem Lehrbuch handeln, aus Zeitungen, aus dem Internet oder weiteren anderen Quellen. So interessant und passend das Material auch sein mag, jede:r Kursleitende muss sich zuvor Fragen folgender Art beantworten:
- Ist das Material nicht zu schwierig für meine Teilnehmenden/Schüler:innen?
- Kann ich es so übernehmen, wie es dort steht, oder muss ich es vereinfachen oder bestimmte Aspekte auswählen?
- Muss ich ihm vielleicht eine ganz andere Art der Präsentation geben, beispielsweise eine Tabelle in eine Grafik umformen?
- Haben die Teilnehmenden die Möglichkeit, neben Sachinformationen auch bestimmte Lernzugriffe einüben, bestimmte Lernstrategien anwenden zu können?
- Oder sich vielleicht sogar neue Lernstrategien anzueignen?
Bei der Konstruktion problemhaltiger Aufgaben sind drei Eckpunkte im Auge zu behalten:
Erster Eckpunkt:
- Die Aufgaben müssen dem individuellen Leistungspotential derer entsprechen, die sie bearbeiten sollen. Das heißt, sie dürfen die Lernenden weder überfordern noch unterfordern. Bei letzterem müssen Kursleitende besonders selbstkritisch sein. Aus narrativen Interviews mit Lernenden in metakognitiven Versuchsgruppen wurde immer wieder ersichtlich, dass Kursleitende aus einer falsch verstandenen „Fürsorgehaltung“ gegenüber Teilnehmenden das Anforderungsprofil der zur Bearbeitung anstehenden Aufgaben allzu oft zu tief ansetzten.
Zweiter Eckpunkt:
Problemhaltige Aufgaben sind nicht allein für Lernende mit einem hoch entwickelten kognitiven Potential geeignet, sondern auch für solche mit niedrigeren Intelligenzwerten.
Zur Stützung dieser Aussage haben unsere Forschungsprojekte stabile Ergebnisse geliefert. Auch Lernende mit niedrigeren Intelligenzwerten wiesen in unserer Versuchsgruppe (also mit metakognitiver Schulung) beachtliche Lernerfolge auf.
Abbildung: Leistungssteigerung bei Lernenden mit niedrigen Intelligenzwerten (<= 80) in metakognitiv fundiertem Unterricht, Angaben zu erreichtem Kompetenzniveau (Anfangs- und Enderhebung) – Forschungsprojekt KLASSIK
Der Mittelwertunterschied ist sehr signifikant (p = 0,004) und die Effektstärke sehr hoch (d = 1,02). Zudem ist der Sprung der Gruppe mit unterdurchschnittlichen Intelligenzwerten von Leistungsniveau 1,64 auf Niveau 2,50 weit größer als die Zahlenwerte und die abgebildeten Balken vermuten lassen. Es ist der Sprung hin zu einer gänzlich neuen Leistungsklasse (siehe hierzu KLASSIK :112ff). Metakognition und das mit ihr verbundene Konzept der problemhaltigen Aufgaben sind demnach für Menschen mit jedwedem Intelligenzwert geeignet.
Dritter Eckpunkt:
Problemhaltige Aufgaben müssen es für Teilnehmende „wert“ sein, in Angriff genommen zu werden.
Für Lernende müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein, um die Anstrengung auf sich zu nehmen, die die Bearbeitung problemhaltiger Aufgaben per se mit sich bringt. Diese Voraussetzungen sind in der Erwartung-mal-Wert-Theorie der Motivation angesprochen (Heckhausen 1989; Seel 2000; Heckhausen, Heckhausen 2010; Rheinberg, Vollmeyer 2012). Das Modell setzt eine Kompetenzerwartung und eine Zielbewertung voraus. Im ersten Fall gehen Lernende davon aus, über zielführende Handlungsmöglichkeiten zur Bewältigung komplexer, problemhaltiger Anforderungen zu verfügen. Die zweite Annahme verweist darauf, dass Lernende das Ziel für hinreichend wertvoll und die Aufgabe für hinreichend anspruchsvoll ansehen, um diese Anstrengungen zu unternehmen.
Zur Umsetzung der Anforderungen, wie sie in den Eckpunkten kurz angesprochen sind, können Sie einen Blick auf die folgenden Beispielaufgaben werfen: Eheschließungen, Knapp-bei-Kasse, Wohnungssuche.
Dort sehen Sie, wie Aufgabenstellung und Material so aufzubereitet sind, dass beides von einfachen bis schwierigen Anforderungen in vier Lernschritten bearbeitet werden kann. Diese Lernschritte werden als vier unterschiedliche kognitive Leistungsniveaus bezeichnet und erklärt. Zudem lässt sich erkennen, wie über die Prinzipien des Lebensweltbezugs und der Fallorientierung die Relevanz der Aufgaben und damit ihr "Wert" für Lernende bestimmter Zielgruppen gewährleistet werden sollte.
* Hinweis zum Beitrag "Teilnehmerorientierung und metakognitiv fundiertes Lehren und Lernen" in: Erwachsenenbildung Österreich 2023
In diesem Artikel ist auf eine SOM (self-organizing map) für die Termini Individualisierung und Autonomie verwiesen. Die erwähnte SOM finden Sie in der Originaldarstellung, also auch einschließllich der hinterlegten Farben, hier.