Beispielaufgabe Eheschließungen
Wir gehen von folgender Situation aus:
Eine Kursleiterin hat im Rahmen des Themas Gender die Tabelle Eheschliessungen als Arbeitsmaterial vorgesehen. Dazu sind von ihr zunächst zwei Fragen gestellt, die in Einzel- oder Paararbeit zu beantworten waren:
Abbildung 1: Eheschließungen (die Zahlen nennen die Anzahl): Deutschland, Jahre, Alter der Ehefrau, Alter des Ehemannes (Quelle: Statistisches Bundesamt (Destatis) 2020)
Arbeitsfragen für die Teilnehmenden:
Frage 1: Woher stammt diese Tabelle mit den Zahlen?
Frage 2: Welche Eheschließungen sind am häufigsten und am zweithäufigsten? Stellen Sie die Zahlenverhältnisse in einem Balkendiagramm dar.
Vielleicht versuchen Sie einmal, beide von der Kursleitenden formulierten Fragen anhand folgender Kriterien zu bewerten:
- Welche der beiden Fragen ist einfacher als die andere? Nennen Sie bitte Gründe.
Antwort:
Frage 1 ist zweifelsfrei einfacher. Man muss lediglich Ausschau halten nach Begriffen wie Quelle, Ort, Zahlen oder Informationen entnommen aus bzw. von … Im vorliegenden Beispiel liefert das Wort Quelle den Hinweis: Die Tabelle stammt von der Seite des Statistischen Bundesamts (Destatis)
- Welche einzelnen Arbeitsschritte sind zu erbringen, um Frage 2 zu beantworten.
Antwort:
Zunächst sind die entsprechenden Zellen zu identifizieren. Dann müssen diese auf die Spaltenbezeichnungen rückverfolgt werden, um zu sehen, welche Altersgruppen wie miteinander kombiniert sind. Dies zu können, erfordert grundlegendes Wissen über den Aufbau von Tabellen. Solches Wissen ist als metakognitives deklaratives Aufgabenwissen im Gehirn abgespeichert (zum deklarativen Aspekt von Metakognition siehe unten). Also: Die Eheschließungen der 20 bis 25-Jährigen untereinander sind am häufigsten, die der 20 bis 25-jährigen Männer mit jüngeren Frauen sind am zweithäufigsten.
Der zweite Teil der Aufgabe, die Zahlenverhältnisse grafisch darzustellen, verlangt ebenfalls den Rückgriff auf grundlegendes metakognitives deklaratives Aufgabenwissen – hier um solches über den Aufbau von Balkendiagrammen. Die Lernenden müssen also wissen, wie Balkendiagramme mit y-Achse und x-Achse konstruiert sind, dass auf der y-Achse Maßeinheiten abgetragen sind, auf der x-Achse Kategorien, dass in Labels Gruppierungen definiert sind, dass es eine Überschrift gibt, Achsenbeschriftungen, eventuell auch Legenden usw.
Nach den einführenden Überlegungen kann man jetzt einen Schritt weitergehen und aus dem Material, der Tabelle zu Eheschließungen, eine problemhaltige Aufgabe konstruieren.
Wie bereits erwähnt, ergibt sich die Problemhaltigkeit gerade auf höheren Kompetenzniveaus wesentlich auch aus Materialien, die den Fragen beigegeben sind. Im Fall dieser Aufgabe wären das außer der Tabelle zu Eheschließungen die Materialien: Ehe als Institution sowie Älterer Mann mit jüngerer Frau - oder umgekehrt.
Bitte formulieren Sie zur Tabelle oben (Abb. 1) andere eigene Fragen. Versuchen Sie dabei, mit zumindest einer Frage jeweils eines der oben aufgeführten kognitiven Niveaus abzudecken. Beziehen Sie zur Formulierung Ihrer Fragen in jedem Fall auch das Zusatz-/Vertiefungsmaterial ein. Dabei müssen Sie allerdings selbst entscheiden, für Fragen auf welchen Niveaus Sie dieses Material ins Spiel bringen.
Im Sinne einer Selbstkontrolle können Sie Ihre Fragen mit den folgenden, von uns generierten abgleichen. So können Sie einschätzen, ob Sie die jeweiligen Niveaus getroffen haben. Zudem sehen Sie auch, ob Ihre Fragen trennscharf mit Blick auf die Niveaus sind.
Hier die Fragen des Autorenteams mekoLEGALL:
Niveau 1 (Wiedererkennen): Was nennen die Zahlen bei den Eheschließungen?
Antwort: Die Anzahl.
Kommentar:
Formulierung in der Klammer (die Zahlen nennen …) einschließlich des davor stehenden Worts (Eheschließungen) sind wörtlich aufgenommen, können also direkt wiedererkannt werden. Die Leistung besteht also lediglich darin, das Rhema zu erfassen, also „Anzahl“.
Niveau 2 (Algorithmen): Gibt es auch Fälle, dass jüngere Ehefrauen mit älteren Ehemännern verheiratet sind? Wenn ja, wie viele Fälle sind es?
Antwort: Ja, das gibt es. Es sind bei den 20 bis 25-jährigen in 2005 628 Fälle, in 2017 192 Fälle und bei den 65 bis 70-jährigen in beiden Jahren jeweils 1 Fall, insgesamt 822 Fälle.
Kommentar:
Zur Anwendung kommen hier einfache Quantoren wie jünger als, älter als. Solche Quantoren gehören ebenfalls zu Algorithmen.
Niveau 3 (Umstrukturieren): Bauen/Gestalten Sie eine neue Tabelle, die nicht mehr die Jahresangaben enthält, sondern die Zahlen für beide Jahre zusammenfasst und nur noch die Altersgruppen 15-<20 und 20-<25 erfasst.
Antwort: Die Tabelle hat folgende Form:
Kommentar:
an dieser Frage sieht man deutlich, wie höhere Niveaus Leistungen von unteren enthalten. Lediglich die Zahlen zusammenzufassen ist eine Leistung, die auf Niveau zwei angesiedelt werden könnte. Denn es kommt ein einfacher mathematischer Quantoren zum Tragen, die Addition von Zahlenwerten. Neu allerdings und für dieses Niveau typisch ist die Veränderung der ursprünglichen und der Konstruktion einer neuen Tabelle. Hierfür sind Kenntnisse aus dem Bereich des metakognitiv-deklarativen Aufgabenwissens abzurufen, in diesem Fall über grundlegende Eigenschaften von Tabellen. Diese Kenntnisse, etwa das Tabellen Spalten und Zeilen mit jeweils ihren Bezeichnungen haben, müssen hier auf die besonderen Gegebenheiten angepasst werden. Es ist also deduktive Kompetenz gefordert bzw. die Fähigkeit, Oberbegriffen in einem top down Verfahren konkret umzusetzen - Leistungen, die typisch für umstrukturieren sind.
Niveau 4 (Elaborieren): Vergleichen Sie in der gerade neu erstellten Tabelle (das ist die ohne Jahresangaben mit nur noch den Altersgruppen 15-20 und 20-25) die Zahlen, bei denen einer der Ehepartner jünger ist als der andere. Stellen Sie die entsprechenden Zahlen in einem Balkendiagramm dar. Geben Sie mithilfe des Zusatzmaterials an, welche Gründe man für die unterschiedlichen Zahlen anführen kann.
Antwort:
Die reduzierte Tabelle hat folgende Form:
Gründe:
- Institutionen und die damit verbundenen anschauen und Erwartungen ändern sich nur sehr langsam. Für die Institution Ehe ist es seit Jahrhunderten eher normal und akzeptiert, dass ein älterer Mann eine jüngere Frau heiratet. Der umgekehrte Fall wird von der Institution Ehe nicht vorgesehen.
- Abweichungen von der in einer Institution vorgegebenen Normen und Regeln werden sanktioniert. Heiratet eine ältere Frau einen jüngeren Mann, wäre das eine solche Abweichung. In diesem Fall sind die Reaktionen Spott und Missbilligung der anderen.
- Ältere Männer scheinen mit Blick auf Lebenserwartung mehr davon zu profitieren, mit einer jüngeren Partnerin zusammen zu sein als umgekehrt. Darauf deuten Ergebnisse von Studien hin.
- Man erklärt das damit, dass Männer in einer solchen Beziehung gepflegt und umsorgt werden, dass sie psychisch stabilisiert sind und von den körperlichen und psychischen Vorteilen sexueller Aktivität profitieren. Warum das nicht auch umgekehrt für ältere Frauen mit jüngeren Partnern gilt, scheint noch nicht geklärt zu sein.
Kommentar:
die auf Niveau vier geforderte Leistung ist als Elaborieren bezeichnet. Damit ist die Erarbeitung von Erklärungen, Schlussfolgerungen, häufig auch Handlungsentscheidungen verstanden, die nicht direkt, unmittelbar den beigegebenen Informationen zu entnehmen sind. In diesem Fall sind als Informationen zu berücksichtigen die visuell im Balkendiagramm wiedergegebenen Zahlenverhältnisse, eine allgemeine Info über den Charakter von Institutionen sowie die Ergebnisse einer empirischen Studie. Die Elaborieren der Leistung besteht nun darin,
- zunächst die Materialien auf das Balkendiagramm beziehen zu können, also die Diskrepanz zwischen den beiden Konstellationen als Problem anzusehen,
- in Material 1 den Grundgedanken (key-concept) der Dauerhaftigkeit von Institutionen sowie ihrer regelsetzenden und sanktionierenden Machts zu erkennen,
- und schließlich Material 2 als Verbesonderung Leben dieses Grundkonzepts zu begreifen. Dies ist nur möglich aufgrund deduktive Leistungen. Sie vollziehen sich in Form von Syllogismen. Sie stellen sozusagen das Ergebnis der Elaboration dar.
Beispiel:
Allgemeine Sätze (Prämissen):
- Institutionen legen eher länger geltende Regeln und Normen bei Regelverstößen fest (Material 1)
- Eheschließung bzw Partnerwahl stellt eine solche Institution dar (eigener Schluss von Material 1 auf das vorliegende Thema).
- Eine der Regeln lautet hier: die Entscheidung älterer Männer für jüngere Partnerinnen ist anerkannt, die älterer Frauen für jüngere Männer ist nicht anerkannt (aus Material 2 indirekt erschlossen)
- Wählen ältere Frauen jüngere Männer, führt dies zu Sanktionen in Form von Sport oder Missbilligung (Material 2).
Resultat:
Daher entscheiden sich Frauen deutlich weniger als Männer für jüngere Partner, was in dem Balkendiagramm visualisiert dargestellt ist.